Der Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ (auch „Vereinigtes Europa“) ist ein politisches Schlagwort der Europabewegung, das eine stärkere europäische Integration und politische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausdrücken will. Häufig wird der Begriff auch synonym zum Konzept des Aufbaus eines europäischen Bundesstaates verwendet (siehe europäischer Föderalismus).

Begriffsursprung

Der Begriff und die Vorstellung lehnen sich an das Modell der Vereinigten Staaten von Amerika an. So schrieb George Washington, der spätere erste Präsident der Vereinigten Staaten, im Jahr 1776 in einem Brief an den Marquis de La Fayette folgende Worte:

Im Jahr 1778 sandte Benjamin Franklin an einen Freund in Paris einen Vorschlag für eine Bundesverfassung der europäischen Staaten und erklärte dazu:

Der schottische Schriftsteller Charles Mackay erhob für sich den Anspruch, im Frühjahr 1848 als erster, noch vor Victor Hugo, Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi, den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ geformt zu haben. Auf dem Pazifistenkongress in Paris im Jahre 1849 erklärte Victor Hugo:

Bereits am 7. Dezember 1905 in Stockholm nannte die schwedische Reformpädagogin Ellen Key bei einer Rede die Vereinigten Staaten von Europa ein Fernziel der zuvor zerbrochenen skandinavischen Union (siehe Skandinavismus) – der ständige Wettlauf unter den skandinavischen Nationen sollte aufhören und mehr zusammengearbeitet werden.

1920er Jahre

Seit den 1920er Jahren wurde der Begriff häufig gebraucht. Richard Coudenhove-Kalergi benutzte die Termini „Paneuropa“ und „Vereinigte Staaten von Europa“ parallel, bevorzugte aber ersteren. Der Bund sollte aus 26 großen Staaten und sieben kleinen Territorien bestehen. Nach außen sollte Paneuropa in einem „neuen System von Weltmächten“ ein Gegengewicht zu Panamerika (als Union der USA mit den Staaten Lateinamerikas), einem Russischen Bundesreich, dem Britischen Bundesreich und einem aus China und Japan bestehenden Ostasien bilden. Die europäischen Kolonien und Mandatsgebiete in Afrika, Südamerika und Südostasien sollten ebenfalls zum paneuropäischen Staatenbund gehören und von den Mitgliedsstaaten gemeinsam „bewirtschaftet“ werden. Dieses große Europa hätte etwa 431 Millionen Einwohner und eine Fläche von ca. 25,6 Millionen km² gehabt.

Ludwig Quidde sah in den Vereinigten Staaten von Europa „ein Schlagwort aus den Anfängen des organisierten europäischen Pazifismus.“

Als erste größere Partei in Europa nahm die SPD auf dem Parteitag vom 13. bis 18. September 1925 die Forderung nach der Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa in das bis 1959 geltende Heidelberger Programm auf, mit der Formulierung:

Nachkriegszeit

Am 6. März 1946 sprach der Vorsitzende des Zonenausschusses der CDU und spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rahmen seiner CDU-Grundsatzrede im Nordwestdeutschen Rundfunk über die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ und der damit verbundenen Hoffnung nach dauerhaftem Frieden in Europa:

Am 19. September 1946 hielt der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill an der Universität von Zürich seine berühmte „Rede vor der akademischen Jugend“, in der er Konsequenzen aus der europäischen Geschichte mit folgenden Worten zog:

Im selben Jahr fand ein Kongress der europäischen Föderalisten in Hertenstein in der Schweiz statt. Dort wurden zwölf Thesen verfasst, die als Hertensteiner Programm zur Grundlage der europäischen Arbeit der Nachkriegsjahre und zugleich zum politischen Gründungsdokument der Europa-Union Deutschland wurden. Ziel ist bis heute eine auf „föderativer Grundlage errichtete, europäische Gemeinschaft“. Zu den wichtigen Unterstützern gehörte v. a. in den 1960er Jahren das American Committee on United Europe. 1955 gründete der französische Unternehmer Jean Monnet das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa, das die Idee vorantreiben sollte. Es war an der Schaffung des Europäischen Rates beteiligt und löste sich infolgedessen im Jahr 1975 auf. Zu den weiteren Förderern gehörte die Sozialistische Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa, woraus 1959 das Mouvement Gauche Européenne und 1971 die Sozialdemokratische Europäische Bewegung hervorgingen.

Nachdem Churchill 1951 wieder britischer Premierminister geworden war, hielt er sein Land von der europäischen Integration weitgehend fern. Bereits 1930 hatte er klargestellt, dass das Vereinigte Königreich nicht zu einem europäischen Zusammenschluss von Staaten gehören solle:

Franz Josef Strauß schrieb in seinem 1966 erschienenen Entwurf für Europa gleich im ersten Kapitel folgendes:

Entwicklung seit Beginn der Integration

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher lehnte in ihrer Brügger Rede vom 20. September 1988 die Vereinigten Staaten von Europa ausdrücklich ab.

Gegen Europaskeptiker in den Unionsparteien (CDU und CSU) betonte Helmut Kohl, dass er für die Europäische Gemeinschaft zwar eine „bundesstaatliche Lösung“ anstrebe, dass diese „aber keineswegs als eine Art ‚Vereinigte Staaten von Europa’ misszuverstehen sei“. 1993 nannte Kohl die Vereinigten Staaten von Europa eine „mißverständliche Formel“.

Im Zuge der Eurokrise – sie wurde der Öffentlichkeit ab Herbst 2009 durch die griechische Finanzkrise bewusst – wird der Begriff häufig verwendet.

Im August 2011 sagte Ursula von der Leyen (inzwischen Kommissionspräsidentin): „Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa – nach dem Muster der föderalen Staaten Schweiz, Deutschland oder den USA.“

Im Rahmen eines Staatsbesuches bei der EU-Kommission am 17. April 2012 sagte Bundespräsident Joachim Gauck: „Wir sind noch nicht so weit, der Mentalitätswandel geht sehr viel langsamer als die Entwicklung des Intellekts… Ich muss Realist bleiben, ich sehe es im Moment noch nicht. Ich wünsche es mir, weil einzelne Staaten, egal wie sie von sich selber denken, nicht mehr die wirtschaftliche Kraft haben.“

Während eines EU-Gipfels in Brüssel am 7. November 2012 warb Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, die Europäische Union langfristig mit staatsähnlichen Befugnissen auszustatten: „Ich bin dafür, dass die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist.“

Für das Modell der Vereinigten Staaten von Europa warb ebenfalls Viviane Reding, Mitglied der Europäischen Kommission, im Zuge der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Union.

Unter dem Motto „jetzt oder nie“ befürwortete die italienische Außenministerin Emma Bonino die Vereinigten Staaten von Europa als zu realisierendes Ziel.

Die Spinelli-Gruppe setzt sich für ein föderales Europa ein, sie stützt sich auf Altiero Spinelli, welcher das Zitat “It will be the moment of new action and it will be the moment for new men: the moment for a free and united Europe” aussprach. Die Spinelli-Gruppe richtete auf ihrer Webseite auch ein Manifest ein, das für jeden zugänglich ist und öffentlich oder privat unterschrieben werden kann.

Im Bürgerprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2013 findet sich folgender Programmpunkt: „Am Ende der Entwicklung soll ein durch eine europaweite Volksabstimmung legitimierter europäischer Bundesstaat stehen.“

Emma Bonino verteidigte in einem am 6. Februar 2014 veröffentlichten Interview mit der Süddeutschen Zeitung die deutsche Politik während der Euro-Krise und sprach sich dabei für die Vereinigten Staaten von Europa aus.

Im Rahmen der Karlspreisverleihung und der Europawahl forderte der Chef des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo) Hans-Werner Sinn den Ausbau der Europäischen Union zu einem Bundesstaat ähnlich dem Vorbild der USA.

Am 14. Juli 2015 propagierte der französische Staatspräsident François Hollande in einem langen Fernsehinterview zum französischen Nationalfeiertag die Idee zu einer „EU-Regierung“. Der ehemalige Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) reagierte auf den Vorschlag einer „Regierung der Euro-Zone“ mit ablehnender Haltung.

Die 2017 gegründete paneuropäische Bewegung Volt Europa sieht in der Umsetzung eines föderalen Europas eine ihrer zentralen Forderungen und organisiert sich daher in Ermangelung transnationaler Listen in nationalen Sektionen europaweit einheitlich unter einem Namen mit einem gemeinsamen Programm.

Laut Ampel-Koalitionsvertrag will die 24. deutsche Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz die Europäische Union zu einem föderalen europäischen Bundesstaat weiterentwickeln.

Literatur

Konzepte

  • William Penn: An Essay Towards the Present and Future Peace of Europe, by the Establishment of an European Dyet, Parliament, or Estates Concluded. In: The Advocate of Peace. Band 58, Nr. 11, Dezember 1896, ISSN 2155-7799, S. 280–283. (Digitalisat)
  • W. I. Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa. In: Sozial-Demokrat, Nr. 44, 23. August 1915.
  • Edo Fimmen: Vereinigte Staaten von Europa oder Europa A.-G. Jena 1924.
  • Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“. (30. Juni 1923) In: Europa und Amerika, S. 92–95.
  • Glyn Morgan: The Idea of a European Superstate. Princeton 2005, ISBN 978-0-691-13412-3 (englisch).

Forschung

  • Georg Kreis: Europakonzeptionen: Föderalismus, Bundesstaat, Staatenbund. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2012.
  • Ludger Kühnhardt: Europäische Union und föderale Idee. München 1993, ISBN 3-406-37084-5, S. 27 ff.
  • Wolfgang Schmale: Geschichte Europas. Wien 2000, ISBN 3-205-99257-1, S. 100 ff.
  • Luuk van Middelaar: Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa. Suhrkamp, Berlin 2016, ISBN 978-3-518-42568-8.

Weblinks

  • Marie-Louise von Plessen: Idee Europa - Entwürfe zum „Ewigen Frieden“ (Ausstellung des Deutschen Historischen Museums)

Einzelnachweise


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